Bomben auf einen Flüchtlingszug

Im Frühjahr 1945 wurde Chemnitz immer wieder bombardiert. Gegen 10.00 Uhr wurden der Bahnhof Siegmar und die Bahnanlagen von Bomben getroffen. Ein Flüchtlingszug mit Vertriebenen aus Ostpreußen und Schlesien hatten den Bahnhof verlassen müssen und stand deshalb mit seinen Waggons auf der Eisenbahnbrücke in Siegmar. Durch die Gewalt der Sprengwirkung wurden die Waggons ineinander geschoben, einige sogar von den Gleisen in die Böschung geschleudert.

Es war ein Anblick, den man ein Leben lang nicht vergisst. Im Haus der Zwickauer Straße 458, in unmittelbarer Nähe des Geschehens wurde vom Dachbodenfenster heraus fotografiert. Dieses schlimme Ereignis musste für die Nachwelt festgehalten werden. So ist es bis heute ein Zeugnis dieser furchtbaren Zeit.

Frau Inge Friebel war damals 21 Jahre alt. Sie war aus Ostpreußen und hatte die Flucht gerade hinter sich und in Chemnitz ein neues zu Hause gefunden. Sie erzählte später der Frau Altermann und mir in unserem Verein, der “Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen - Kreisgruppe Chemnitz” von diesen Geschehnissen. Viele Menschen waren damals sofort an der Unglückstelle, um zu helfen. Die Toten hatten alle ganz blaue Gesichter, man sagte, ihnen hätte es durch den Druck die Lungen zerrissen. Die geborgenen Verletzten kamen in das Elite-Diamant-Werk und in das nächstgelegene Krankenhaus nach Rabenstein.

Frau Friebel sagte noch daß sie von ihrer Wohnung aus auf den Hof der engrenzenden Firma Ritscher sehen konnte. Die Firma stellte zu der Zeit Kunstseidenstoffe her. Dort lagen viele Verletzte, die man zur Betreuung aufgenommen hatte.

Später erfuhr man, aus dem Zug wurden 46 Tote und 250 Verletzte geborgenen. Besonders traurig war die Tatsache, dass unter den Toten auch viele Kinder waren. Dazu einen Ausschnitt aus den Unterlagen des Stadtarchivs Chemnitz:

“Am 2. März 1945 wurde die Stadt Siegmar-Schönau wiederholt schwer angegriffen. Diesmal traf es auch einen gerade durch Siegmar-Schönau fahrenden Zug der mit Flüchtlingen aus dem Osten kam. Der sehr lange Eisenbahnzug mit den Flüchtlingen wurde zwischen dem Bahnhofsgebäude und der Eisenbahnbrücke an der Hofer Straße (heute Zwickauer Straße G. R.) besonders schwer getroffen. Die dichtbesetzten Wagen wurden durch die Sprengwirkung der Bomben ineinander geschoben, zu Teil stürzten sie von dem Bahndamm und von der Eisenbahnbrücke auf die Straße herab.

Siegmar 1945/1Siegmar 1945/2

Nach den Angaben von A. Schirmer wurden aus dem Zug 75 Tote und 250 Verletzte geborgen. Die Akte der Stadt Siegmar-Schönau enthält eine Liste über die am 2. März 1945 Gefallenen. Darin sind 60 Personen genannt. Damit sind jedoch nicht alle Toten vom 2. März erfasst. Die weitere Durchsicht der Akte, die 22 Blätter umfasst, ergibt, daß noch 13 Personen hinzugefügt werden müssten. Demzufolge geht aus den zeitgenössischen Informationen der Verwaltung vom März bis August 1945 hervor, dass 46 Personen im Flüchtlingszug bzw. in seiner unmittelbaren Nähe den Tod fanden. Weitere 27 Personen starben in oder bei Gebäuden der Amalienstraße, Adolf-Hitler-Straße (heute Jagdschänkenstraße) und Hofer Straße (heute Zwickauerstraße). Fast ein Drittel der ums Leben gekommenen Menschen waren Kinder im Alter von 0-14 Jahren. Mütter, die mit ihren Kindern “auf der Flucht", starben gemeinsam im Bombenhagel. Magdalena Scharenberg aus Breslau wurde mit ihren 4 Kindern (Gerda 17 Jahre, Manfred 12, Elfriede 6 und Hannelore 6 tödlich getroffen. Das gleiche Schicksal ereilte Else Klara Scholz, die mit ihren Kindern Karl-Werner (l6), Klaus Manfred (7) und Marianne Else(5) in der Amalienstraße 3 Zuflucht gesucht hatte.”

Die überlebenden Flüchtlinge wurden per Bahn weitertransportiert haben, Chemnitz verlassen. Von den verletzten Flüchtlingen sind einige geblieben.

Die sterblichen Überreste wurden auf dem Reichenbrander Friedhof begraben. Ein Gedenkstein, der von der Kreisgruppe der Ost- und Westpreußen Chemnitz gesetzt wurde, soll für alle Zeiten an die vielen Menschen, die so unsinnig ihr Leben verloren haben, erinnern.

Siegmar 1945/3

Chemnitz, 27.April 2013

Hildegard Bartkowiak

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